Thurgaukultur – Magazin

«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»  Susanne Odermatt im Gespräch mit Inka Grabowsky.

«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»

Die Schauspielerin und Produzentin Susanne Odermatt hat sich in den vergangenen Jahren als Spezialistin für Dramen einen Namen gemacht. Jetzt bringt sie eine Komödie auf mehrere Bühnen im Thurgau. 

Tatsächlich war die Geschichte einer abgründigen Beziehung wieder in der engeren Auswahl für mein nächstes Stück, aber es wäre noch heftiger gewesen als die «Deutschlehrerin», und ich wollte mal etwas Leichtes machen – nicht oberflächlich und banal, sondern brisant, aktuell, humorvoll und trotzdem anspruchsvoll. Ich allein habe bestimmt dreissig Stücke gelesen – Patrick Boog ähnlich viele – bis ich auf «Die Tür nebenan» gestossen bin. In Frankreich gibt es diese Bühnentradition, die Komödien nicht auf billige Pointen reduziert, sondern mit einem Augenzwinkern der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Der Autor Fabrice Roger-Lacan, Enkel des berühmten Psychoanalytikers Jacques Lacan, legt den beiden Protagonisten mit Tempo und Rhythmus viel Wortwitz in den Mund. Und der funktioniert auch in der deutschen Übersetzung. Es geht nicht nur um die Inhalte der Konflikte, die immer an den Haaren herbeigezogen sind, sondern vor allem auch um die die Art und Weise des Umgangs miteinander, der meist etwas überhöht Absurdes, Surreales hat. 

Wenn das Stück ausschliesslich gängige Klischees bedienen würde, hätte ich es nicht gewählt. Es gibt ein gutes Ende, aber ein anderes als mancher erwarten würde. Und ob es nachhaltig ist, weiss man auch nicht.  Einiges bleibt offen: Vielleicht finden sie im Netz jemanden anderes, vielleicht entwickelt sich ihre Nachbarschaft positiv, vielleicht werden sie auf der Partnersuche zu Vertrauten. 

«Identifizieren kann ich mich nicht mit ihr, aber ich kann mich mit ihr verbinden.» 

Susanne Odermatt, Schauspielerin, über die Figur, die sie in «Die Tür nebenan» spielt

Es war eher mein eigenes Bedürfnis, nicht immer in einen Abgrund zu schauen. Der Verkauf von Eintrittstickets war nicht der Grund für die Stoffwahl. Mit dem Beziehungskrimi «Die Deutschlehrerin» hatten wir bisher 27 Aufführungen, die begeistert aufgenommen worden sind. Ich bin gespannt, welche Resonanz es bei der Internationalen Künstlerbörse in Freiburg im Breisgau gibt, wo wir uns im Januar präsentieren dürfen. Bei der bisherigen Vermarktung hat eindeutig geholfen, dass wir uns 2023 auf der Künstlerbörse in Thun haben vorstellen dürfen. Aus dem Kreis der Theater, die uns danach eingeladen haben, gibt es jetzt auch Interessenten für das neue Stück, was mich sehr freut. Mein Stammpublikum könnte sich also etwas erweitern. Das hilft dann auch, finanziell über die Runden zu kommen. Derzeit wäre die Produktion ohne öffentliche Unterstützung etwa der Kulturstiftung des Kantons Thurgau oder der Stadt Frauenfeld und des Kulturpools nicht denkbar. Ich bin allen Stiftungen äusserst dankbar. 

Video: Trailer zu «Die Deutschlehrerin» 

Odermatt-Theaterproduktionen scheinen auf einem eingespielten Team zu beruhen, das seit langen zusammenarbeitet…

Patrick Boog hat sich als passender und engagierter Bühnenpartner erwiesen, nachdem Regisseur Marcelo Diaz und ich ihn für «Die Deutschlehrerin» gecastet hatten. Und Marcelo kenne ich schon, seit ich mit 18 an einem Jugendtheaterkurs in der Gessnerallee in Zürich teilgenommen habe. Er bot mir auch Einblick ins damalige Theater an der Sihl, dessen Leiter Marcelo zu jener Zeit war. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Als ich deshalb 2018 einen Regisseur für meine eigene Produktion «Countdown oder Das Ticken der Eieruhr» brauchte, habe ich ihn gefragt. Seitdem haben wir einiges dazugelernt – insbesondere was die Gestaltung des Bühnenbildes für unsere Tourneen angeht. Beim ersten Stück hatten wir noch einen gewaltigen Kühlschrank dabei, den wir im alten Theater an der Grenze in Kreuzlingen kaum die Treppe hoch bekommen haben. Unser Bühnenbildner Andreas Wagner überlegt mit uns gemeinsam, was es braucht – dieses Mal sehr wenig. Die Kulisse besteht aus einer Wand mit zwei Öffnungen, die die Türen symbolisieren. Zwei Hocker stehen davor. Wenn die Figuren im Internet aktiv sind, markieren wir das mit den Leuchtringen, die Influencer für die Selbstinszenierung brauchen. Auch Mikrofone kommen zum Einsatz.

Im ersten Augenblick erschien sie mir zu zickig, aber ich habe sie liebgewonnen. Hinter ihrem Verhalten steckt mehr. Identifizieren kann ich mich nicht mit ihr, aber ich kann mich mit ihr verbinden. 

Patrick Boog und Susanne Odermatt verkörpern in «Die Tür nebenan» zerstrittene Nachbarn – sehr zum Amusement des Publikums. Bild: Elisabeth Wegmann

Quelle

23.10.2024 – https://www.thurgaukultur.ch/magazin/ich-will-auch-nicht-immer-in-den-abgrund-schauen-5965

© Inka Grabowsky